Wozu ist Diagnostik
des sozialen Interaktionsverhaltens notwendig?
Ulrike Franke
Gründe für eine Diagnostik des sozialen Interaktionsverhaltens
- Ergänzung einer Psycho-Diagnostik: Die Diagnostik der sozialen Fähigkeiten werden leider meist zugunsten von Intelligenz- und Funktionsdiagnostik vernachlässigt, spielen aber bei der Gesamtbeurteilung des Interaktionsverhaltens eines Kindes eine wichtige Rolle.
- Erweiterung des Blickwinkels: Es genügt nicht, den Blick nur auf den Stress der Eltern und der Kinder zu richten, sondern auch auf die anderen Bereiche der Eltern-Kind-Interaktion.
- Die Bedeutung der sozialen Fähigkeiten: Die sozialen Fähigkeiten eines Kindes spielen bei der Erklärung einer Auffälligkeit, einer Störung oder mangelnden Fähigkeiten und Fertigkeiten eine wichtige Rolle.
- Hilfen für die Intervention: Aus der Gesamtheit der beobachteten unterschiedlichen Eltern-Kind-Interaktionen lassen sich die Ressourcen des Paars deutlich besser ersehen und therapeutisch nutzen als allein aus diagnostischen Tests.
- Ersetzung der Funktions- und Intelligenzdiagnostik bei unkooperativen Kindern: Bei eher unzugänglichen Kindern erweist sich die Diagnostik des sozialen Interaktionsverhaltens zwischen Kind und Eltern als wichtige Informationsquelle für die Diagnose.
a) Wenn wir die übliche Diagnostik in psychiatrischen, psychologischen und sozialpädiatrischen Einrichtungen anschauen, so dominiert eindeutig die Intelligenz- und Funktionsdiagnostik. Die Interaktionen von auffälligen oder behinderten Kindern mit ihrer personalen Umwelt wird aus der Beobachtung der Situation nur erschlossen, was lediglich eine oberflächliche Beurteilung erlaubt. Denn die Situation in einer fremden Institution mit unbekannten Menschen mit dem Bewusstsein oder der Ahnung, getestet zu werden, ruft aller Erfahrung nach nicht das normale Verhalten zwischen Eltern und Kind hervor, sondern beeinflusst alles in Richtung auf den Aspekt Stress.
b) Es gibt deutlich mehr Aspekte in der Eltern-Kind Beziehung, die Aufschluss geben über eine größere Bandbreite an Verhaltensmustern als der Stress bzw. das berichtete pathologische Muster. Wichtig sind, vor allem in Hinblick auf Intervention, die verschiedenen Ressourcen, die das Paar hat.
c) Erkenntnisse über die Verhaltensweisen in sozialen Situationen können Aufschluss geben, ob das Kind z.B. bereit ist, sich beeinflussen zu lassen, etwas vom Erwachsenen anzunehmen, bzw. ob das Angebot der Erwachsenen adäquat/passend ist für dieses Kind. Fast ausschließlich aus einem Interaktionsverhalten ist ersichtlich, ob ein Kind Sprachverständnisstörungen hat, auf welchem Sprachentwicklungsstand ein mutistisches Kind wirklich ist, wenn es mit den Eltern spricht.
d) Eine Diagnostik, die sich auf die Pathologien und Störungen beschränkt, gibt wenig Anhaltspunkte für die Ressourcen des Eltern-Kind-Paares, die für die therapeutische Intervention aber unverzichtbar sind.
e) Entwicklungsgestörte Kinder weisen oft Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Störungen auf. Tests geben in aller Regel daher nicht Auskunft über die Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern spiegeln die Verhaltensauffälligkeiten wider. Mit den Werten, die ein oppositionell-verweigerndes Kind in einem Intelligenztest bekommt, ist wenig anzufangen. Eine Möglichkeit, das Verhalten des Kindes unbemerkt von außen zu beobachten, gibt zwar keinen entsprechenden Wert, aber hilft zumindest, die Reife und die Intelligenz aufgrund der normalen Verhaltensmuster einzuschätzen.
Zur Begründung der H – MIM können folgende Forschungen heramgezogen werden:
„Es konnte gezeigt werden, daß die Qualität der Mutter-Kind-Interaktion für die kognitive Entwicklung der Kinder im Alter von 2 und 4 1/2 Jahren ungefähr den gleichen prädikativen Wert besitzt wie frühe Entwicklungstests, und daß mit Hilfe der MKI die sozial-emotionalen Probleme der Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter deutlich besser vorhergesagt werden können als aufgrund früher Temperamentsauffälligkeiten. Störungen der MKI sind mit späten kognitiven Entwicklungsrückständen und vermehrt Auffälligkeiten assoziiert.
Quelle: Zsch. psychosomat. Med. 39, 246-264